Bei dem Projekttag der Sophie-Scholl-Oberschule in Berlin zogen die 700 Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe als Architekten, Statistiker, Journalisten, Mapper und Rollstuhlfahrer los, um die umliegenden Kieze auf Rollstuhlgerechtigkeit zu untersuchen. Dabei stießen sie auf viele Barrieren – und spannende Situationen.

Um kurz nach acht Uhr schallte es aus allen Lautsprechern der hauseigenen Sprechanlage der Sophie-Scholl-Oberschule im Berliner Stadtteil Schöneberg: “Heute ist der große Tag! Ihr seid die erste Schule in Deutschland, die mit der Wheelmap loszieht, um Orte auf ihre Rollstuhlgerechtigkeit zu untersuchen.”

Eine Durchsage, die gleich aus zwei Gründen für die rund 700 Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe nicht alltäglich war: einerseits, weil der normale Unterricht heute als Projekttag “Wheelmap macht Schule” in die umliegenden Kieze verlagert wurde; andererseits, weil der Durchsager Raul Krauthausen, Erfinder der Wheelmap, hier selbst die Schulbank gedrückt hat und die Kick-Off-Veranstaltung des Unterrichtsprojekts zur Inklusion daher etwas ganz Besonderes ist.

Seit Oktober setzten die Lehrerinnen und Lehrer der 29 Klassen die Unterrichtsmaterialien von „Wheelmap macht Schule“ ein. Initiiert wurde der Projekttag von Lisa Manthey, die selbst zum Kollegium der Sophie-Scholl-Schule gehört und gleichzeitig als Sozialheldin die Unterrichtsmaterialen für Wheelmap.org mitentwickelt hat.

Barrieren im Alltag eines Berliner Rollstuhlfahrers

In verschiedenen Rollen machten sich die Schülerinnen und Schüler auf den Weg, um als gerechte Architekten, aufgeklärte Journalisten, neugierige Statistiker, eifrige Mapper, forschende Rollstuhlfahrer und vielseitige Repräsentanten die Umgebung auf Barrierefreiheit zu untersuchen. Das Ziel je nach Aufgabenprofil dieser Rollen: Informationen zu den baulichen Gegebenheiten sammeln, Orte in der Wheelmap markieren, mit dem Personal in den Läden und Cafés und mit den Menschen auf der Straße ins Gespräch zu kommen.

Vor allem die Gruppe der Rollstuhlfahrer kämpfte auf dem Kurfürstendamm mit ganz praktischen Hindernissen: Bordsteinkanten und ein kaputter Fahrstuhl der U-Bahnlinie 1. Zu den Aufzügen müses man sowieso auch noch “durch halb Berlin” laufen – deswegen wollten die Schüler mehrere Male einfach aus dem Rollstuhl aufstehen.

So erledigte sich auch die Absicht der Jugendlichen, schnell von der Haltestelle Uhlandstraße zum Savignyplatz zu kommen, weil der Fahrstuhl dort nicht funktionierte: “Dann müssen Sie zum Ku’damm zurückfahren und von dort aus mit den Bussen weiter,” informierte eine Stimme der BVG aus der Info-Säule. Als sich die „Rollstuhlfahrer“ schließlich von Passanten die Treppen hochtragen ließen, kamen sie zu der Ansicht: “Man, ist das peinlich!”

Ein Erfolgserlebnis hatten die Schüler jedoch auch: Sie waren dabei, als der U-Bahn-Fahrer auf ihren Wunsch hin an der ersten Tür die Rampe anlegte und sie im Rollstuhl so problemlos in den Wagen kamen.

Die Reaktionen sind nicht immer herzlich

Hürden ganz anderer Art hatte zum Beispiel die Gruppe der Architekten vor sich. Mit Zollstock und Wasserwaage ausgestattet gehörte es auch zu ihren Aufgaben, Ladenbesitzer und Personal zu Barrierefreiheit in den Geschäften zu beraten.

Dort stießen sie auch auf ungeduldige und unfreundliche Mitarbeiter. Ob es für den Eingang in den Frisörladen auch eine Rampe gäbe? “Nein, wo soll die denn hier hin? Und die wäre ja auch zu lang auf dem Bordstein!” Auf den Hinweis, dass es ja auch mobile Rampen zum Ein- und Ausklappen gibt, winkt die Mitarbeiterin ab: “Ich hab jetzt auch eine Kundin…”.

In dem Restaurant San Marino am Savignyplatz wurden die “Architekten” recht herzlich empfangen: “Ja, ihr könnt gerne messen und wir haben auch eine Rampe.” Die Jugendlichen kommen dann auch zu dem fachmännischen Schluss: “Die Steigung ist okay, und die Rampe ist auch rutschfest. Außerdem ist die Tür mit 90 cm breit genug!” Eine rollstuhlgerechte Toilette gibt es vor Ort zum Bedauern der Mitarbeiter jedoch noch nicht. “Dabei hatten wir auch schon ein Essen mit 30 Rollstuhlfahrern,” ergänzt eine Angestellte.

Erfreuliche Bilanz für die Wheelmap

Und die Bilanz des Projekttages in Zahlen? Insgesamt haben die Schüler ca. 300 Orte in der Wheelmap markiert und damit die Anzahl der markierten Orte in Berlin auf über 17.000 erhöht. Auf die Ergebnisse der “neugierigen Statistikerinnen und Statistiker”, die pro Gruppe 50 Interviews mit Passanten zu Behinderung und Barrierefreiheit geführt haben, warten wir gespannt.

Ein herzliches Dankeschön gilt dem HilfsmittelCentrum des Berliner Roten Kreuzes e.V. und dem Behinderten-Sportverband Berlin e.V.: Zusammen haben beide Einrichtungen 20 Rollstühle zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Dank gilt den Mithelfern in der Sophie-Scholl-Schule und Schuldirektor Klaus Brunswicker – ohne sie wäre ein solch großer Aktionstag nicht möglich gewesen.

Die Unterrichtsmaterialien, die für den Projekttag an der Sophie Scholl Oberschule genutzt wurden, können alle Lehrer und Interessierten hier bei uns anfordern. Nachmachen ist erwünscht – der Erfolg der Kick-Off-Veranstaltung zu „Wheelmap macht Schule“ lädt dazu ein.

Mach mit bei „Wheelmap macht Schule“