10 Jahre UN BRK – Ist Deutschland rollstuhlgerechter geworden?

Auf einer Karte sieht man die Entwicklung der rollstuhlgerechten Orte von 2014 bis 2019: Wie viele sind dazu gekommen?

Vor 10 Jahren am 26. März 2009 trat in Deutschland die Behindertenrechtskonvention in Kraft, die die Rechte von Menschen mit Behinderung verankert. Barrierefreie Zugänglichkeit zu schaffen ist darin eine wichtige Verpflichtung der Vertragsstaaten, die unterzeichnet haben. Wir haben verglichen, ob und wie sich die Rollstuhlgerechtigkeit der Orte auf Wheelmap.org in Deutschland entwickelt hat.

Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz: UN-BRK) ist seit dem 26. März 2009 in Deutschland gesetzlich wirksam. In Artikel 9 steht, dass die Vertragsstaaten “geeignete Maßnahmen” treffen sollen um “Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen (…)  mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation” zu sichern. Seitdem wurden in vielen Städten und Gemeinden in Deutschland Maßnahmen ergriffen.

Die Berliner Sozialhelden begannen 2009, die Wheelmap zu entwickeln und mithilfe einer engagierten Community aus Menschen mit und ohne Mobilitätseinschränkung, Informationen zur Zugänglichkeit zu Orten zu sammeln. Innerhalb von knapp 10 Jahren wurde so die Rollstuhlgerechtigkeit von knapp 960.000 öffentlich zugänglichen Orten wie Cafés, Supermärkten, Geschäften, Museen, Schulen, Kinos, Bahnhöfen, Haltestellen uvm. gesammelt – Orte an denen das soziale Leben stattfindet oder die für die Mobilität im Alltag wichtig sind.

Wie hat sich die Rollstuhlgerechtigkeit in Deutschland verändert?

Von den 960.000 Orten auf Wheelmap.org befinden sich 490.000 Orte in Deutschland. Wir haben uns den aktuellen Stand in den Bundesländern und in den Landeshaupstädten angeschaut und verglichen, was es in den letzten 5 Jahren für eine Entwicklung auf Landesebene gab.

Abgebildet sind verschieden große Kreise, die die Rollstuhlgerechtigkeit der großen Städte Deutschlands anzeigen.

In den deutschen Landeshauptstädten liegt nach aktuellem Stand der Daten auf Wheelmap.org und OpenStreetMap.org der Anteil der voll rollstuhlgerechten Orte – bewertet anhand der Stufenlosigkeit des Eingangs und der Stufenlosigkeit in den Innenräumen – zwischen 47,6 und 72,6 Prozent. Dabei ist Schwerin der Spitzenreiter in der Rollstuhlgerechtigkeit. Danach folgen Bremen (64,7%), Hannover (61,9%) und Hamburg (61,8%). Düsseldorf bildet das Schlusslicht mit 47,6 Prozent.

Ein Balkendiagramm zeigt die Rollstuhlgerechtigkeit der Bundesländer.

Das Bild setzt sich in den Bundesländern fort, dass besonders der Norden am besten abschneidet in den Anteilen der grün bewerteten Orte auf Wheelmap.org. Überraschend ist, dass sich Brandenburg mit 62,3 Prozent nach Bremen mit 64,7 Prozent auf den zweiten Platz schiebt.

Nordrhein-Westfalen hingegen insgesamt steht als Bundesland viel besser da in seinen Anteilen an voll rollstuhlgerechten Orten als seine Landeshauptstadt Düsseldorf. Den geringsten Anteil rollstuhlgerechter Orte auf Wheelmap.org gibt es in Sachsen (50,5%). Und den höchsten Anteil nicht rollstuhlgerechter verzeichnet Sachsen-Anhalt mit 30,3 Prozent.

Auf einer Karte sieht man die Entwicklung der rollstuhlgerechten Orte von 2014 bis 2019: Wie viele sind dazu gekommen?

Nun könnte man den Eindruck bekommen, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat und die Rollstuhlgerechtigkeit sehr hoch ist. Betrachtet man allerdings, was sich in den letzten 5 Jahren verändert hat, fällt der “Wow”-Effekt etwas geringer aus. Verglichen mit den Zahlen von 2014 liegt der höchste Zuwachs an rollstuhlgerechten Orten bei 8,3 Prozent in Bayern. Hier ist gleichzeitig auch der Anteil nicht rollstuhlgerechter Orte gesunken.

Es ist schön, dass wir in den meisten Bundesländern einen positiven Trend sehen, aber Verbesserungen von durchschnittlich 6 Prozent innerhalb von 5 Jahren ist noch ausbaufähig. Hier müssen öffentliche Hand und Privatwirtschaft mehr Verantwortung übernehmen, um auch der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht zu werden.

Bei den meisten anderen Bundesländern liegt der Zuwachs eher im Bereich von 3,5 bis 5,5 Prozent. Außer Bayern liegen noch Niedersachsen (7,4%),  Saarland (6,6%) und Brandenburg (5,7%) über diesem Bereich. Auffällig ist, dass es in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern eine Zunahme in den Anteilen der nicht rollstuhlgerechten Orte gab – in Sachsen-Anhalt haben die rollstuhlgerechten Orte sogar seit 2014 an Anteil verloren.

Langsame und geringe Verbesserung der Zugänglichkeit

Was die Verbesserung der Zugänglichkeit angeht, zeigt sich zumindest anhand der Entwicklung der Zahlen von Wheelmap.org seit 2014, dass es im Schnitt in Deutschland nur langsam vorangeht mit der Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Menschen. Als Aktivist*innen wünschen wir uns, dass noch mehr Orte zugänglich werden und dies schneller geschieht.

Mit Wheelmap.org setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass den Zielen, zu denen sich Deutschland vor 10 Jahren in der UN-BRK bekannt hat, noch größere Priorität eingeräumt wird.

Sozialhelden.de, 2019

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